in der Nacht

in der Nacht

wohne ich in fremden Häusern

mit gewundenen Zimmern

entdecke Räume

hinter versteckten Türen

am Ende des Flurs.

morgens

alles wie immer

und doch:

vor jeder Schwelle

lauert ein Hauch Erwartung

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Dienstag ist Gedichtetag. Wer sich anschließen will, ist herzlich willkommen! Mit dabei sind:

Mutigerleben
Wortgeflumselkritzelkrams
Werner Kastens
Gedankenweberei
Erinnerungswerkstatt
Dein Poet
Geschichte/n mit Gott
Wortmann
Traumspruch
Voller Worte
Zielstrebig
Puzzleblume *neu*
wolkenleer *neu*
Querfühlerin *neu*

blau

als die Große Last
von meinen Schultern gleitet
kann mein Körper es nicht fassen
er geht noch eine ganze Weile lang
gebückt weiter

erst als es in mir
immer heller und heller wird
richtet er sich auf
Wirbel um Wirbel
bis mein Kopf
wieder gerade auf den Schultern sitzt

ich schaue nach oben
der Himmel ist blau
und offen

Der Dienstag dichtet!  
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Fräulein Honigohr und der Fingerhut

Fräulein Honigohr stuppst den lila Fingerhut mit dem Zeigefinger an. Er nickt und setzt die Blüten an der Dolde in zitternde Bewegung. Ein süßlicher Duft breitet sich aus. „Wir hatten das doch besprochen“, sagt Fräulein Honigohr, „du hast Wohnrecht am Fluss, in allen kinderlosen Gärten und an der Autobahn. Aber nicht hier.“ Sie stuppst ihn erneut, dieses Mal etwas nachdrücklicher.
Der Fingerhut grollt. Ein Beben geht durch das lila Feld, wütende Parolen steigen auf, untermalt mit Glöckchenklang. „Nein“, sagt Fräulein Honigohr und sie klingt streng, „ihr wart nicht zuerst hier. Zufällig weiß ich, dass der Kindergarten vor euch da war.“
Der Fingerhut zuckt mit den Blättern.
„Meinetwegen“, sagt Fräulein Honigohr, „dann ist eben der Wind schuld. Trotzdem haben wir ein Abkommen. Also!“ Sie blickt auffordernd um sich. Die Fingerhüte fluchen glöckchenhell und neigen sich zusammen. Dann richten sie sich auf und weigern sich, Fräulein Honigohr anzusehen. Sie schüttelt den Kopf. „Wenn ihr das Abkommen brecht, garantiere ich für nichts. Ich kenne einen Gärtner, der in einer Stunde hier sein kann.“
Der erste Fingerhut erstarrt. Alles ist still, kein Blatt rührt sich. Fräulein Honigohr bekommt fast ein schlechtes Gewissen, aber wenn sie nicht durchgreift, ist nächstes Jahr der gesamte Kindergarten umschlossen von Fingerhut und dann kommt erst recht der Gärtner. „Du hast die Wahl“, sagt sie und streicht dem Anführer über die Blüte, „Umzug heute nacht an die Flussauen und ihr lasst bis dahin keinen einzigen Samen frei. Oder den Gärtner in einer Stunde.“
Blütenschweres Schweigen antwortet ihr, dann steigen lila Flüche empor, die Dolden reiben sich aneinander und bemitleiden sich. Fräulein Honigohr ist unnachgiebig. Schließlich nickt der Anführer widerwillig.
„Geht doch“, sagt Fräulein Honigohr. „Wir sehen uns um Mitternacht.“ Als sie aufbricht, zischt es giftig hinter ihr her. Tja, denkt sie, man kann nicht mit jedem befreundet sein.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden! Die Regeln sind maximal 300 Wörter und im Text unterzubringen ist die Wortspende, dieses Mal gespendet von Christiane und ihrem Blog Irgendwas ist immer. Sie ist auch die Organisatorin der abc-Etüden – vielen Dank dafür!

kleine Träume

  • mein Zug hält nicht dort, wo er sonst immer hält, er fährt durch bis ans Meer
  • ich schreibe jeden Tag mit Elan und Freude an meinem Buch
  • ich bin mir jederzeit bewusst, was ich alles kann, von Träumen über Fußnagelschneiden bis Tee kochen
  • mir fliegt ein blauer Papagei zu und beschließt zu bleiben
  • das ungesunde Essen verwandelt sich in gesundes, bleibt aber genauso lecker wie Ungesundes
  • ab sofort bin ich immer ausgeschlafen und fit, egal, wann ich schlafen gegangen bin
  • niemand hat mehr Lust zu hassen oder Krieg zu führen
  • alle gehen wirklich nach Hause, wenn sie nach Hause gehen

Der Schrein der Weisen

wir aßen Erdbeeren im Februar
lachten sehr hoch und sehr laut
hatten von allem das Neueste
aber den Schrein der Weisen fanden wir nicht

wir flogen im März ins Warme
bauten das hellere Haus
kauften den roten Ferrari
aber den Schrein der Weisen fanden wir nicht

wir suchten verbissen und lange
tauschten die Aktien siebenmal um
wuschen die Hände in Unschuld
aber den Schrein der Weisen fanden wir nicht

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Nichtigkeiten

Der Nichtigkeitenbär füllt den Tag mit Wahrheit. Du siehst ihm zu, während er Tee kocht, auf dem Balkon Vertrocknetes über die Brüstung schnipst und dein Handyspiel zockt. „Willst du auch mal?“ fragt er freundlich und du nickst eifrig. So schwer kann das doch nicht sein! Bei ihm sieht alles so leicht aus.
Du versuchst, genauso entspannt wie er das nächste Level zu knacken, versagst aber jämmerlich: Als du die dreißig rosa Rosen anklickst, hast du ein schlechtes Gewissen, beim Teekochen fragst du dich schon wieder, ob du deine Zeit nicht sinnvoller verbringen solltest.
Der Nichtigkeitenbär klopft dir auf den Rücken. „Nicht aufgeben, du schaffst das!“ sagt er aufmunternd und isst einen Schokokeks. „Dein Tag hat 24 Stunden. Du kannst nicht jede Minute davon sinnvoll verbringen, das klappt nicht.“
Du nickst. Du bist ja noch in der Ausbildung. Aber einfach wird das nicht.

Osterhoffnung

im Radiogottesdienst singt ein schiefer Chor
die Balkontür steht offen
die Luft ist lebendig und voller Knospen
niemand wird heute verraten
ein Kind sagt: Lass uns spielen!
und wir überlegen

Kopflabyrinth

in meinem Kopflabyrinth
gibt es verschlossene Räume
täglich vergesse ich den Inhalt
wie groß sie sind und wo sie liegen
Vermutungen besagen
sie sind nicht größer als eine Walnuss
oder ein Apfel
was man nicht sieht
kann nicht groß sein
aber nachts
spielen meine Träume dort Theater
abstraktes Kabarett
unsichtbare Besucher klatschen Beifall
verlangen Zugaben
es scheint
als ob die verschlossenen Räume
größer sind
als ich dachte

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Frau Möllendiek sucht Heimat

Beim Abendbrot fragt Frau Möllendiek sich, warum sie sich eigentlich so oft heimatlos fühlt.
„Es sind die Menschen, meine Liebe“, sagt die Ökofrau und beißt knackend in ein Gürkchen.
Frau Möllendiek wundert sich schon längst nicht mehr, warum die Ökofrau dauernd ihre Gedanken kennt, bevor sie sie laut ausgesprochen hat.
„Menschen machen Heimat“, sagt die Ökofrau und schluckt den Rest des Gürkchens hinunter.
Frau Möllendiek zieht zweifelnd die Stirn kraus. Was ist mit ihrem Lieblingssessel, den Ritualen und ihren Hausschuhen?
„Die natürlich auch“, sagt die Ökofrau, „mit den Menschen zusammen ergibt das Heimat.“ Sie lehnt sich zurück, ihre grauen Locken wallen über ihre Schultern. „Sie haben die Menschen ein wenig vernachlässigt in den letzten Jahren.“
Frau Möllendiek schnauft. Ihr Leberwurstbrot liegt vergessen auf dem Teller. „Die Menschen haben mich vernachlässigt, so sieht das doch wohl aus!“
„Mag sein. Ist immer eine Frage der Perspektive“. Die Ökofrau trinkt seelenruhig einen Schluck Tee. Frau Möllendieks Adrenalinpegel steigt.
„Wollen Sie heute abend auszeichnen?“ fragt die Ökofrau. Richtig. Die Kleiderbörse. Frau Möllendiek will ihren Kleiderschrank ausmisten, aber ihre Sachen sind zu gut für die Kleidersammlung, also kommt nur etwas so suspektes wie eine Kleiderbörse in Frage. Immerhin ist es nachhaltig. Sie nickt widerwillig.
„Sehr gut“, sagt die Ökofrau. „Da gibt´s ein Cafe. Sie könnten sich mit den anderen Kundinnen unterhalten.“
Frau Möllendiek seufzt laut. Immer diese anstrengenden Interaktionen. „Meinetwegen.“ So schlimm wird es wohl nicht werden. Oder?
„Es sind nur Menschen, meine Liebe“, sagt die Ökofrau, „sie schaffen das.“

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, organisiert von Christiane – vielen Dank! Die Wortspende stammt von Puzzleblume und ihrem Blog puzzle ❀. Sie lautet:

Abendbrot, heimatlos, auszeichnen. Alle anderen Regeln sind im Bild zu finden.